Annie
Der etwas weiche Sessel am Fenster. Draußen hat sich Februar lauwarm gekleidet, Februar erstaunt. Ich selbst schaue nicht mehr durch das Fenster. Ich weiß genau, was sich dort befindet. Ein trauriger Hof. Mit seinem kahlen Baum in der Mitte und den Alten, die darum herumlaufen. Auf meinen Schoß hat man Annies Decke gelegt.
Annie ist vor einer Woche gestorben. Seitdem bin ich es, den ihre Decke wärmt.
Annie war seltsam. Sie war schon alt, als ich ankam. Sie bekam nie Besuch. Sie schien von der Außenwelt völlig losgelöst zu sein. Aber Annie hatte Augen, die lachten. Annie sprühte vor Lebensfreude.
Wenn sie allein war, mit ihrer grün karierten Decke über den Beinen, schaute sie nie nach vorne. Weder nach links noch nach rechts. Ihre Augen waren immer gesenkt. Wenn sie gerufen wurde und es Zeit zum Essen war, hob sie ihr Gesicht an. Dann sah man ihren Glanz, der fast unmöglich war. Ich fragte Annie oft: "Wie schaffst du es, hier so glücklich zu sein?". Sie antwortete: "Das ist mein Geheimnis".
Sie war winzig, ganz krumm, mit gebogenen Beinen. Und abgenutzte Hände. Sie war in der Gegend geboren und aufgewachsen. Sie hatte den Mercerieladen geführt. Eines Tages, sie muss fast vierzig Jahre alt gewesen sein, war sie fortgegangen. Sie war für weitere vierzig Jahre verschwunden. Sie war mit einem erstaunlichen Aussehen zurückgekehrt.
Wenn der Regen an den Fenstern leckte und der Wind uns frösteln ließ, sagten wir zu ihr: "Annie, erzähl! Erzähl uns, wie es war!". Annie beugte den Kopf, schloss die Augen und lächelte.
"Das war Montisi. Und Montisi war das Grüne. Es war das Kühle. Es war das Heiße. Und das Gelbe. Es war wildes Gestrüpp. Und es waren grüne Wellen mit Furchen, die wie Narben aussahen. Es war das Olivenöl. Und die Namen, die singen. Und die Sprache, die zu meiner wurde. Als ich dort landete, war es, als wäre ich in meinem eigenen Zuhause angekommen. Ein anderes Zuhause. Ein Zuhause von innen heraus. Oh, diese Felder mit diesen hellen Flecken, wie Tropfen, die von einer Palette fallen! Es war wirklich wie Wellen, es war weich. Und die kühle, weiße Kapelle, die wie ohne Dach aussah ...".
Eines Tages, als wir beide vor ihrem Zimmer standen, sagte sie zu mir: "Weißt du, wenn die Liebe tot ist, muss man seine Wurzeln wiederfinden. Die andere Liebe ist überall". Da hatte ich verstanden, dass es in Montisi ein Grab gab, das sie schmerzte. Und dass sie deshalb zurückgekommen war.
Vor ein paar Tagen hatte sie mich angelächelt: "Ich werde nach Hause kommen und ich werde meine Liebe wiederfinden". Ihre Augen versicherten mir, dass das wahr war. Es klang verrückt, aber ich glaubte ihr.
Eines Morgens kam die Krankenschwester in mein Zimmer und sagte: "Annie ist heute Nacht gestorben". Ich wollte lachen und sagen, dass sie nicht gestorben ist, sondern nur zu Hause war. Ich fühlte mich erfüllt und friedlich. Nach ein paar Tagen bat ich die Krankenschwester um Annies Decke. Sie gab sie mir, weil ich ihr am nächsten gewesen war.
Und jetzt sitze ich am Fenster und betrachte meine Hände auf der Decke. Ich werde mich nie an meine Hände von heute gewöhnen, mit ihren dicken Adern und dieser dünnen Haut und dieser Schrumpeligkeit. Mit diesen verbeulten Fingern. Nein. Jedes Mal bin ich überrascht, jedes Mal erwarte ich, dass ich sie wie früher vorfinde, jung mit ihren hübschen, abgerundeten Fingernägeln. Ich spreize die Finger und es entstehen lustige Muster mit dem Einband.
Plötzlich fasziniert mich eine Fliese. Ich ziehe meine Hände auseinander und ... tauche ein.
Der Geruch von Baumharz, ein leises Bachgeräusch. Ich gehe am Rand eines Feldes entlang. Es gibt ein paar zerzauste Bäume, die in die schwarze Erde gepflanzt sind. Zäune trennen das Grün vom Gelb. Ich sehe sattgrüne Dünen. Die Blumen sind wunderschön. Ich nähere mich ihnen und genieße den Duft, den sie verströmen. Ich lege mich ins Gras. Meine Finger, ganz glatt, pflücken in vollen Zügen diese feuchte Lebendigkeit. Ich stehe auf. Ich renne. Ich lache. In der Ferne gibt es ein Dorf, in dem ich eine weiße Kapelle erkenne. Ein anderes Mal werde ich zu ihr gehen.
Eine Hand auf meiner Schulter lässt mich den Kopf heben. Roger steht gebeugt zu mir. "Na, was ist denn mit dir los? Ich habe schon eine ganze Weile nach dir gerufen. Aber! Ich habe dich noch nie mit so einem aufgeweckten Blick gesehen. Du siehst aus wie ein junges Mädchen! Was ist los mit dir?". Ich antwortete: "Das ist mein Geheimnis".